Keine ordentliche Kündigung projektbezogener Zulieferverträge – Schweigen ist keine Drohung

Unser Rechtsanwalt Roman Nocon vertritt erfolgreich die TWB GmbH & Co. KG im Zusammenhang mit diversen Rechtsstreitigkeiten mit dem Volkswagen-Konzern als Teil eines kanzleiübergreifenden Projektteams. TWB ist ein zur „Prevent-Gruppe“ gehörender Zulieferer, der bis März 2019 markenübergreifend Hintersitzlehnen-Konstruktionen für diverse Fahrzeugmodelle des VW-Konzerns gefertigt hat.

Hintergrund

Spätestens nachdem es im Jahr 2016 zu Streitigkeiten mit anderen (mit TWB allerdings nicht verbundenen) Unternehmen der Prevent-Gruppe gekommen ist, hatte Volkswagen beschlossen, die Verträge mit sämtlichen der Prevent-Gruppe zugerechneten Unternehmen zu beenden. In diesem Zusammenhang haben sämtliche VW-Gesellschaften ihre Geschäftsbeziehungen zu TWB ordentlich gekündigt.

Eine ordentliche Kündigung kommt aber regelmäßig nicht in Betracht, wenn die Laufzeit der Zuliefer-Rahmenverträge bestimmt oder das ordentliche Kündigungsrecht vertraglich ausgeschlossen ist. Eine bestimmte Laufzeit kommt aber nicht nur bei Vereinbarung eines festen Endtermins, sondern auch dann in Betracht, wenn die Vertragsbeziehung für ein bestimmtes Projekt abgeschlossen ist. In der Automotive-Industrie entspricht ein solches Projekt vielfach einer bestimmten Fahrzeug-Modellreihe, so dass ein hierfür abgeschlossener Zuliefer-Rahmenvertrag (erst) endet, wenn die Modellreihe nicht mehr produziert wird.

Das OLG Celle hat nun am 08.12.2020 – wie bereits zuvor das OLG Düsseldorf – entschieden, dass die VW-Gesellschaften kein Recht zur ordentlichen Kündigung hatten; auch eine außerordentliche Kündigung sei nicht wirksam erklärt worden. Dem Vortrag von Volkswagen, dass ein Anfang 2018 von TWB gestelltes Preiserhöhungsverlangen als eine stillschweigende Drohung mit einer Liefereinstellung auszulegen sei und einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung begründe, ist das OLG Celle nicht gefolgt.

Ausblick

Das Zulieferrecht hat bislang nicht gerade den Ruf, durch eine umfassende Kasuistik geprägt zu sein, sicherlich auch, weil die Zuliefererseite nicht selten auf die Geschäftsbeziehung zum Abnehmer/OEM existentiell angewiesen ist und vielfach Sorge hat, das Verhältnis durch gerichtliche Auseinandersetzungen zu belasten. Das gilt nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Abnehmer/OEM häufig das Recht nimmt, Zulieferbeziehungen ohne wichtigen Grund innerhalb eines laufenden Projektes zu beenden.

Eine Kündigung ohne wichtigen Grund dürfte aber nicht zulässig sein, wenn ein Zuliefer-Rahmenvertrag besteht, der für ein oder mehrere bestimmte Projekte (z.B. eine bestimmte Fahrzeugmodellreihe) abgeschlossen wurde. Ungeklärt ist, welchen Spielraum der Abnehmer/OEM hat, (wichtige) Gründe für eine außerordentliche Kündigung formularvertraglich wirksam auszugestalten. Gleiches gilt für die Frage, ob und unter welchen Umständen ein OEM im Einzelfall verpflichtet sein kann, einen Zulieferer bei der Vergabe neuer Lieferumfänge zu berücksichtigen, insbesondere wenn der Zulieferer seinen Geschäftsbetrieb weit überwiegend auf die Geschäftsbeziehung mit dem OEM ausgerichtet hat.

Spannend ist auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich in einer langfristigen Zuliefer-Beziehung Leistungsänderungs- und Preisanpassungsansprüche ergeben können und wie letztere der Höhe nach zu berechnen sind, wenn sich die Parteien nicht einvernehmlich einigen. Vergleichbare Fragen stellen sich freilich nicht nur in Zuliefer-Beziehungen, sondern letztlich in allen projektbezogenen Vertragsbeziehungen mit einer gewissen Dauer. Für das neue Bauvertragsrecht hat der Gesetzgeber diese Problematik erkannt und ihr erstmals in den §§ 650b, 650c BGB erstmals Rechnung getragen. Bei anderen langfristig angelegten (Projekt-)Verträgen dürften sich vielfach aber ebenfalls entsprechende Rechte aus den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien herleiten lassen, ggf. auch nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung, wenn es an einer ausdrücklichen Vereinbarung fehlt.

Unsere Expertise

Wir beraten und vertreten seit langem Unternehmen, insbesondere aus der Stahl- und Bauindustrie, sowie im Maschinenbau und im Bereich Automotive, bei der Gestaltung, Begründung und Beendigung ihrer (Zu-)Lieferbeziehungen sowie bei Störungen in der Vertragsabwicklung und Streitigkeiten mit Kunden oder (Zu-)Lieferanten. Bei Bedarf sind wir auch jederzeit in der Lage, die in diesem Zusammenhang vorhandene umfassende Expertise in unserem Haus durch externe Expertise zu ergänzen und ein schlagkräftiges Projektteam zusammenzustellen.

Zu den Rechtsstreitigkeiten zwischen TWB und dem VW-Konzern hat auch der JUVE-Verlag berichtet:

https://www.juve.de/nachrichten/verfahren/2020/12/prevent-gegen-vw-zuliefererstreit-steuert-nach-widerspruechlichen-urteilen-auf-den-bgh-zu

Ansprechpartner

Roman Nocon

Bauen und Immobilien, Öffentliches Recht und Vergabe, Wirtschaft und Finanzen

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