Tiefgreifende Veränderungen des Insolvenz- und Sanierungsrechts

Mit dem sperrigen Titel „Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts“ (SanInsFoG) wurde zum 01. Januar 2021 die tiefgreifendste Änderung des deutschen Insolvenz- und Restrukturierungsrechts seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) umgesetzt. Das SanInsFoG tritt überwiegend bereits zum 1. Januar 2021 in Kraft. Ausgenommen hiervon sind insbesondere die Regelungen zu öffentlichen Restrukturierungssachen. Die entsprechenden Vorschriften (§§ 84 ff. StaRUG) treten erst am 17. Juli 2022 in Kraft.

Als Kernstück des SanInsFoG soll das neue Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) Unternehmen die Möglichkeit geben, sich auf der Grundlage eines von den betroffenen Gläubigern mehrheitlich angenommenen Restrukturierungsplanes zu sanieren. Das StaRUG schließt die Lücke zwischen einer auf die Zustimmung aller Gläubiger angewiesenen außergerichtlichen Sanierung auf der einen Seite und der Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens auf der anderen Seite.

Neudefinition der Begriffe der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung als Insolvenzeröffnungsgründe

Zugang zum Restrukturierungsrahmen und den Verfahrenshilfen erhalten Unternehmen, die lediglich drohend zahlungsunfähig (§ 18 InsO n.F.) sind.

Drohende Zahlungsunfähigkeit bedeutet, dass der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Umstritten war nach der InsO a.F. die Frage nach der Dauer des Prognosehorizonts. Außerdem ergaben sich Überschneidungen beim Prognosezeitraum für die Bestimmung der drohenden Zahlungsunfähigkeit einerseits und der positiven Fortbestehensprognose für die Feststellung einer Überschuldung nach § 19 InsO andererseits. Das SanInsFoG konkretisiert die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO n.F. insoweit, indem es den Prognosezeitraum auf „in aller Regel“ 24 Monate festlegt (§ 18 Abs. 2 S. 2 InsO n.F.). Zugleich grenzt das SanInsFoG die drohende Zahlungsunfähigkeit schärfer von der Überschuldung nach § 19 InsO ab, indem der Prognosezeitraum bei der Überschuldung gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 InsO n.F. auf 12 Monate festgelegt wird. Ein temporär verkürzter Prognosehorizont von vier Monaten gilt bis Ende des Jahres 2021 für Unternehmen, deren Überschuldung auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen ist (§ 4 COVInsAG n.F.).

Die Insolvenzantragsfrist bei Überschuldung wird von drei Wochen auf sechs Wochen verlängert (§ 15a Abs. 1 S. 2 InsO n.F.), für die Zahlungsunfähigkeit gilt dagegen weiterhin die Drei-Wochen-Frist. Im Übrigen ist die Erstattungspflicht der Geschäftsleitung für Zahlungen bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung nunmehr unmittelbar in der Insolvenzordnung geregelt (§ 15b Abs. 4 InsO n.F.) und auf den Gläubigerschaden begrenzt.

Sanierung durch den Restrukturierungrahmen

Der neue Restrukturierungsrahmen kann von Unternehmen genutzt werden, die noch nicht zahlungsunfähig, aber drohend zahlungsunfähig sind. Insolvenzreifen, d.h., zahlungsunfähigen oder überschuldeten Unternehmen im Sinne der §§ 17, 19 InsO n.F. stehen die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens im Grundsatz nicht zur Verfügung. Tritt die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein, nachdem bereits eines der Instrumente des Restrukturierungsrahmens in Anspruch genommen worden ist, hebt das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache auf; hiervon kann es aber absehen, wenn dies nicht im Interesse der Gläubigergesamtheit ist. Dies gilt insbesondere, wenn die Insolvenzreife aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll, vorausgesetzt, dass die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist. Solange die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache andauert, ruht die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO. Stattdessen ist das Unternehmen bei Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zur unverzüglichen Anzeige gegenüber dem Restrukturierungsgericht verpflichtet, um das Gericht in die Lage zu versetzen, über eine vorzeitige Aufhebung der Restrukturierungssache zu entscheiden.

Restrukturierungsplan und Stabilisierungsmaßnahmen

Zentrales Instrument des Restrukturierungsrahmens ist der Restrukturierungsplan mit Maßnahmen, die die drohende Zahlungsunfähigkeit beseitigen sollen. Innerhalb des Restrukturierungsrahmen können Unternehmen die Verhandlungen mit den betroffenen Gläubigern führen und den Restrukturierungsplan zur Abstimmung stellen.

Der Restrukturierungsverfahren wird mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei Gericht rechtshängig; zwingend ist die Anzeige nur dann, wenn mit Vorhaben in einzelne Gläubigerrechte eingegriffen oder Stabilisierungsmaßnahmen angeordnet werden sollen. Das drohend zahlungsunfähige Unternehmen verbleibt beim Restrukturierungsverfahren quasi in der Eigenverwaltung und die erforderlichen Maßnahmen können flexibel gestaltet und ergriffen werden.

Während des Restrukturierungsverfahrens können auf Antrag des Schuldners vom Gericht diverse Stabilisierungsmaßnahmen angeordnet werden, insbesondere auch Vollstreckungs- und Verwertungssperren zur Wahrung der Erfolgsaussichten des Restrukturierungsplans. Die Stabilisierungsanordnung nach § 49 StaRUG hat zudem auch vertragsrechtliche Wirkung und zur Folge, dass ein Gläubiger nicht allein wegen einer rückständigen Leistung aus der Zeit vor der Anordnung eine ihm im Anordnungszeitraum obliegende Leistung verweigern oder Vertragsbeendigungs- oder -abänderungsrechte geltend machen. Weiter kann der Gläubiger nicht unter Hinweis auf den Rückstand Vertragsbeendigungs- oder -abänderungsrechte geltend machen. Eine Ausnahme gilt, falls das Unternehmen auf die Leistungen des Gläubigers für die Fortführung des Unternehmens nicht angewiesen ist (§ 55 Abs. 2 StaRUG).

Der Regierungsentwurf sah des Weiteren noch die Möglichkeit vor, für den Schuldner ungünstige, noch nicht vollständig erfüllte Verträge (insbesondere auch Mietverträge oder Lieferverträge) vorzeitig zu beenden (vorzeitige Vertragsbeendigung). Diese Möglichkeit wurde gestrichen und hat keinen Eingang in das StaRUG gefunden.

Wie bei einem Insolvenzplan, der jedoch die Einleitung und die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraussetzt, müssen nicht alle Gläubiger in das Verfahren einbezogen werden bzw. dem Restrukturierungsplan zustimmen, sondern die vom Plan betroffenen Gläubiger müssen nur mehrheitlich diesem zustimmen (75 %-Mehrheit je betroffener Gläubigergruppe). Der wesentliche Vorteil liegt also darin, dass Gläubiger, insbesondere sog. „Akkordstörer“ anders als in der Vergangenheit bei außerinsolvenzlichen Sanierungsvorhaben in das Sanierungsverfahren gezwungen werden können.

Forderungen von Arbeitnehmern und zur betrieblichen Altersvorsorge können nicht durch den Restrukturierungsmaßnahmen gestaltet werden. Tiefgreifende Sanierungen, die wesentliche Eingriffe in den Personalbereich erfordern und sich daher ohne die Nutzung der Sanierungsinstrumente der Insolvenzordnung (z.B. Insolvenzgeld, vereinfachter Personalabbau) nicht umsetzen lassen, werden daher auch in der Zukunft nur in einem Insolvenzverfahren umgesetzt werden können.

Restrukturierungsplan als grundlegendes Gestaltungsinstrument des Restrukturierungsrahmens

Die Regelungen des Restrukturierungsplan entsprechen im Wesentlichen den Regelungen des Insolvenzplanverfahrens. Der Restrukturierungsplan besteht aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil.

Der darstellende Teil enthält insbesondere eine Beschreibung der Krisenursachen und die zur Krisenbewältigung identifizierten Maßnahmen. Zudem enthält der darstellende Teil insbesondere eine Vergleichsrechnung, in der die Auswirkungen der Restrukturierungsmaßnahmen auf die Befriedigung der Gläubiger mit und ohne den Plan dargestellt wird. Die betroffenen Gläubiger dürfen durch den Plan nicht schlechter gestellt werden als in einer anderen Befriedigungslösung.

Der gestaltende Teil legt fest, wie die Forderungen der Gläubiger im Vergleich zu der bestehenden Rechtslage gestaltet werden sollen.

Die einbezogenen Gläubiger werden in Gruppen eingeteilt, die ihre unterschiedliche Rechtsstellung widerspiegeln (z.B. Finanzgläubiger, gesicherte Gläubiger, Vermieter, Anteilsinhaber). Der Sanierungsplan wird zur Abstimmung gestellt und gilt als angenommen, wenn innerhalb einer jeden Gruppe mindestens 75 % der Stimmrechte zustimmen. Wird diese Mehrheit in einer Gruppe nicht erreicht, gilt die Zustimmung dennoch als erteilt, wenn die Mitglieder dieser Gruppe durch den Plan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne den Plan stünden, sie angemessen am wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der den Planbetroffenen zufließen soll und die Mehrheit der abstimmenden Gruppen mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat (gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung).

Fakultative Einbindung des Gerichts

Eine Einbindung des Gerichtes ist erforderlich, wenn einzelne oder verschiedene Stabilisierungsmaßnahmen angeordnet bzw. in Anspruch genommen und in Rechte von Planbetroffenen oder Dritten eingegriffen werden soll.

Das Gesetz stellt folgende Instrumente zur Verfügung:

  1. Die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens (gerichtliche Planabstimmung);
  2. Die gerichtliche Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erforderlich sind;
  3. Die gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung, wie eine Vollstreckungssperre oder eine Verwertungssperre (Stabilisierung);
  4. Die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Planbestätigung).

Mit den jeweiligen Stabilisierungsmaßnahmen soll der Schuldner in die Lage versetzt werden, seinen Restrukturierungsplan in ausreichender und angemessener Zeit umsetzen zu können.

Das Gericht kann darüber hinaus einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen, wenn die Rechte von Verbrauchern oder kleinen oder mittleren Unternehmen berührt werden sollen oder der Gläubiger eine Stabilisierungsanordnung (Vollstreckungs- und Verwertungssperre) nutzen will. Zudem wird ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, wenn der Restrukturierungsplan eine Überwachung der Erfüllung der Ansprüche, die den Gläubigern zustehen, vorsieht. Der Restrukturierungsbeauftragte hat ähnlich wie ein Sachwalter in einem Eigenverwaltungsverfahren nach der Insolvenzordnung die schuldnerischen Maßnahmen und deren Umsetzung zu überwachen und steht dem Schuldner unterstützend und beratend zur Seite.

Keine persönliche Haftung des Geschäftsführers bei drohender Zahlungsunfähigkeit und Außenhaftung gegenüber Gläubigern

Der Regierungsentwurf des StaRUG sah noch vor, dass die Geschäftsführer – als Kehrseite der Medaille – bereits bei Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht mehr die Interessen der Gesellschafter, sondern die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren haben und ordnete eine Haftung der Geschäftsführer an, wenn sie diese Pflicht nicht berücksichtigen. Die entsprechenden Vorschriften hierzu wurden allerdings im StaRUG gestrichen.

Ansprechpartner

Dr. Andreas Schröder

Insolvenzen und Sanierungen, Wirtschaft und Finanzen

Süreya Kurucu

Bauen und Immobilien, Notarielle Angelegenheiten, Wirtschaft und Finanzen

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