Annahmeverzug und Kündigungsschutz – Stärkung der Rechtsposition von Arbeitgeber*innen
Der sogenannte Annahmeverzugslohn ist nicht nur ein sperriger Begriff. Hiermit korrespondiert vor allem eine wirtschaftliche Gefahr für Arbeitgeber (hier und nachfolgend: m/w/d), der im Zusammenhang mit Kündigungsschutzverfahren eine zentrale Bedeutung zukommt. Diese Gefahr wird jedoch durch die neuere Entwicklung in der Rechtsprechung erfreulicherweise geringer. Außerdem besteht für Arbeitgeber die Möglichkeit, ihr finanzielles Risiko durch gezielte Maßnahmen während eines Rechtsstreits weiter zu reduzieren.
Problemlage
Kündigungsschutzklagen werden gegebenenfalls über 3 Instanzen geführt und können deshalb einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen. Sofern ein Arbeitnehmer (auch hier und nachfolgend: m/w/d) den Rechtsstreit letztlich gewinnt und bis dahin oder zumindest überwiegend arbeitslos war, muss der verklagte Arbeitgeber sowohl die arbeitsvertraglich geschuldete Vergütung als auch erhebliche Sozialversicherungsbeiträge unter Umständen für mehrere Jahre nachzahlen.
Das hiermit verbundene Risiko zu Beginn eines jeden Kündigungsschutzprozesses läuft erkennbar dem finanziellen und personalpolitischen Bedürfnis nach Planungssicherheit zuwider. Eben deshalb besteht auch arbeitgeberseitig vielfach die Bereitschaft, unter Abwägung der rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken eines Prozesses möglichst schnell eine vergleichsweise Lösung zu realisieren, sofern dies auch von der klagenden Partei akzeptiert wird.
Die skizzierte Ausgangslage erklärt, weshalb statistisch betrachtet der weit überwiegende Teil der Kündigungsschutzverfahren vor den Arbeitsgerichten nicht durch ein rechtskräftiges Urteil, sondern durch einen Abfindungsvergleich endet.
Die nachvollziehbare Sorge der Arbeitgeber vor späten und dann gegebenenfalls noch größeren finanziellen Belastungen resultiert daraus, dass ein grundsätzlich bestehender Zahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs nur in wenigen gesetzlich bestimmten Fällen mit Erfolg abgewendet werden kann. Die einschlägige Regelung hierzu in § 11 des Kündigungsschutzgesetzes, die weitgehend inhaltsgleich mit der in § 615 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist, lautet auszugsweise wie folgt:
„Besteht nach der Entscheidung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fort, so muß sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen,
- was er durch anderweitige Arbeit verdient hat,
- was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen…“
In der Praxis stellt sich daher gerade im Fall einer längeren Arbeitslosigkeit des gekündigten Arbeitnehmers die bedeutsame Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem böswilligen Unterlassen anderweitigen Verdienstes auszugehen ist. Sofern einem insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Arbeitgeber der entsprechende Nachweis gelingt, drohen ihm zumindest bei einer gleichwertigen oder gar höheren Vergütung der anderen hypothetischen Tätigkeit keine wirtschaftlichen Folgen durch nachträglich zu leistendes Arbeitsentgelt und Sozialversicherungsbeiträge, selbst wenn also ein gekündigter Kläger den Prozess gewinnt und nach seiner Entlassung keine anderweitige Beschäftigung hatte.
Rechtsprechung
Allerdings war die in dem Zusammenhang einschlägige Rechtsprechung für die Arbeitnehmerseite zunächst über Jahrzehnte recht komfortabel. Denn ursprünglich bestand für Arbeitgeber kaum eine Möglichkeit, die näheren Umstände für die Arbeitslosigkeit eines gekündigten Arbeitnehmers in Erfahrung zu bringen. Der Arbeitnehmer musste hierzu nämlich keine Auskunft erteilen. Für ihn bestand noch nicht einmal die Obliegenheit, sich zumindest bei der Agentur für Arbeit bzw. dem früheren Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden (vgl. BAG, Urt. v. 16.05.2000 – 9 AZR 203/99).
Dies änderte sich erst durch einen grundlegenden Wandel der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Jahr 2020. Zwischenzeitlich hatte die Zuständigkeit der Senate beim Bundesarbeitsgericht für Rechtsfragen des Annahmeverzugs gewechselt, worauf die bisherige Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben wurde. Der 5. Senat stellte nämlich fest, dass gekündigte Arbeitnehmer eine Mitwirkungspflicht treffe, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Eben deshalb wurde auch vorausgesetzt, dass eine Obliegenheit besteht, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Geschieht dies nicht, kann ein Arbeitgeber mit Aussicht auf Erfolg die Einwendung erheben, dass ein etwaig geltend gemachter Annahmeverzugslohn wegen des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes nicht geschuldet ist (vgl. BAG, Urt. v. 27.05.2020 – 5 AZR 387/19).
Selbst wenn aber eine solche Meldung bei der Agentur für Arbeit getätigt wurde, besteht nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine zusätzliche Verpflichtung zur Auskunftserteilung, ohne die ebenso wenig ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn durchgesetzt werden kann. Denn hiernach muss ein gekündigter Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die ihm von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsangebote nach Treu und Glauben angeben, wenn der Arbeitnehmer eine Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert und die arbeitgeberseitige Einwendung von böswillig unterlassenem anderweitigen Verdienst wahrscheinlich begründet ist.
Im Nachgang zu der jüngeren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts geht jetzt die Instanz-Rechtsprechung sogar noch einen Schritt weiter. So vertritt das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg inzwischen die Auffassung, dass der Arbeitgeber nicht lediglich einen Auskunftsanspruch gegen den gekündigten Arbeitnehmer über die ihm unterbreiteten Vermittlungsvorschläge hat. Das Gericht nimmt vielmehr auch die Qualität und Quantität der Bewerbungen mit auf in die rechtsmaßgebliche Betrachtung, ob von einem böswilligen Unterlassen anderweitigen Verdienstes auszugehen ist (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.09.2022 – 6 Sa 280/22).
Bemerkenswert erscheint hierbei die Erwartung des Landesarbeitsgerichts, dass die Bewerbungsbemühungen im Hinblick auf deren zeitliche Intensität der einer Vollzeitstelle entsprechen müssen, um nicht andernfalls Indizien zulasten des Arbeitnehmers hieraus abzuleiten, wenn dieser auch schon zuvor in Vollzeit beschäftigt war. Dabei scheint sich die Stärkung der Rechtsposition von Arbeitgebern anlässlich der Geltendmachung von Annahmeverzug sowohl materiellrechtlich als auch prozessrechtlich derzeit in der Arbeitsgerichtsbarkeit weiter fortzusetzen (vgl. etwa ArbG Stuttgart, Urt. v. 23.02.2023 – 25 Ca 956/22).
Praxistipp
Durch die neuere Entwicklung in der Rechtsprechung wird das Annahmeverzugsrisiko von Arbeitgebern im Zusammenhang mit Kündigungsschutzprozessen deutlich reduziert. Gleichzeitig steigen damit auch die Chancen zugunsten einer wirtschaftlich vertretbaren Vergleichsfindung. Beides kann zudem durch ein proaktives Handeln von Arbeitgebern noch gefördert werden, indem sie gekündigten Arbeitnehmern während laufender Rechtsstreitigkeiten wiederkehrend und nachweislich anderweitige Stellenangebote zur Kenntnis geben.
Der damit verbundene Aufwand ist für professionelle Personalabteilungen gering, zugunsten einer effizienten Prozessführung aber ausgesprochen hilfreich. Denn hierdurch wird ein gekündigter Arbeitnehmer – nach dem zwischenzeitlichen Wertmaßstab der Rechtsprechung – nennenswert unter Zugzwang gesetzt, später im Einzelnen darlegen zu müssen, weshalb er trotz alledem angeblich nicht dazu in der Lage gewesen sein soll, anderweitigen Verdienst zu erzielen. Ein solches Vorgehen erscheint im Übrigen nicht nur legitim, es ist auch ohne Weiteres rechtmäßig. Denn entsprechende Stellenangebote durch den bisherigen Arbeitgeber werden von der Rechtsprechung ausdrücklich als eine zulässige Option angesehen, weshalb hierauf in laufenden Kündigungsschutzprozessen nicht verzichtet werden sollte, zumal der aktuelle und erwartungsgemäß anhaltende Fachkräftemangel insoweit gute Rahmenbedingungen bietet.
Ansprechpartner
Dr. Uwe Julius Faustmann
Arbeits- und Dienstvertragsrecht, Insolvenzen und Sanierungen, Wirtschaft und Finanzen