Digitale Ratssitzung und Livestream – Was ist rechtlich möglich?

Bei allen Einschränkungen, die die Corona-Pandemie uns abverlangt, dürfte doch der damit verbundene Digitalisierungsschub für das gesellschaftliche, berufliche und politische Leben nicht zu unterschätzen sein. Geschäftliche Meetings, Sitzungen des Bundeskabinetts, ja sogar Weihnachtsfeiern werden per Videokonferenz durchgeführt, Konzerte durch Livestreams verbreitet. Dadurch werden Potenziale zeitlicher Effizienz gehoben und wird ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet, wenn z.B. Anfahrtswege entfallen. Zu hoffen ist, dass die Vorzüge des Digitalisierungszeitalters auch nach der Pandemie zumindest in Teilen erhalten bleiben.

Rechtsgrundlage erforderlich

Es verwundert daher ein wenig, jedenfalls auf den ersten Blick, dass der Städte- und Gemeindebund NRW im Januar 2021 mitgeteilt hat, dass während der Corona-Pandemie digitale Rats- und Ausschusssitzungen mit Blick auf den Öffentlichkeitsgrundsatz, die Durchführung von geheimen Abstimmungen und datenschutzrechtliche Schwierigkeiten keine rechtlich zulässige Alternative zu Präsenzsitzungen darstellen. Richtig ist, dass das Kommunalverfassungsrecht Präsenzsitzungen der kommunalen Gremien als Regelfall voraussetzt. Rechtssichere digitale Formate sind daher nur dann möglich, wenn hierzu – anders als in NRW – ausdrückliche Rechtsgrundlagen existieren.

Der Öffentlichkeitsgrundsatz als begrenzender Maßstab

Eine rechtliche Herausforderung ist vor allem die Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes, den das Kommunalverfassungsrecht in allen Bundesländern vorsieht. Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist Ausfluss des Demokratieprinzips. Daran sind wegen Art. 28 GG auch die Länder und Kommunen gebunden. Der Öffentlichkeitsgrundsatz gehört zu den wesentlichen Verfahrensgrundsätzen des Kommunalrechts. Er hat Repräsentations-, Integrations- und Kontrollfunktion und begrenzt damit die Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Hilfsmittel für öffentliche Gremiensitzungen.

Eine physische Präsenz bzw. Wahrnehmbarkeit der Gremienmitglieder ist als Regelfall unverzichtbar. Denn auch Körpersprache, Rhetorik und Darbietung prägen die Diskussions-, Überzeugungs- und Entscheidungskultur. Insofern fordert der Öffentlichkeitsgrundsatz für öffentliche Gremiensitzungen, dass – in den Grenzen der Kapazität – jedermann während der gesamten Sitzung eine Teilnahmemöglichkeit haben muss (Saalöffentlichkeit). Es genügt nicht allein, dass nur die abschließende Entscheidung in öffentlicher Sitzung gefasst oder bekanntgegeben wird.

Beispielhaft: Die Rechtslage in Baden-Württemberg

An diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben müssen sich Rechtsgrundlagen für digitale Sitzungsformate messen lassen, die von einigen Ländern bereits implementiert oder beabsichtigt sind. So sieht – um hier nur einige wenige Beispiele zu nennen – § 37a der baden-württembergischen Gemeindeordnung vor, dass Gemeinderatssitzungen unter bestimmten Voraussetzungen in Form einer Videokonferenz durchgeführt werden können. Bei öffentlichen Sitzungen in Form einer Videokonferenz muss eine zeitgleiche Übertragung von Bild und Ton in einen öffentlich zugänglichen Raum (z.B. den Ratssaal) erfolgen, wo Bürger und Medien die Sitzung öffentlich verfolgen können. Hintergrund dieser Regelung ist, dass nicht von allen interessierten Bürgern erwartet werden kann, dass sie bei einer reinen Online-Übertragung einen barrierefreien Zugang zur Ratssitzung haben.

Initiative in Bayern

In Bayern befasst sich in diesen Tagen der Landtag mit der Einführung hybrider Gemeinderatssitzungen. Das heißt, mindestens der Vorsitzende muss physisch anwesend sein. Hintergrund ist auch hier der Öffentlichkeitsgrundsatz. Bemerkenswert an der Initiative in Bayern ist, dass die Begründung des Gesetzentwurfs nicht allein auf die Corona-Pandemie Bezug nimmt, sondern auch mit der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit dem kommunalen Ehrenamt argumentiert.

Übertragung per Livestream

Grundsätzlich möglich erscheint es auch, neben der Übertragung der Sitzung in einen öffentlich zugänglichen Raum einen Livestream via Internet zu übertragen, um so eine breitere Öffentlichkeit herzustellen. Dies dürfte unproblematisch sein, sofern und soweit das jeweilige Landesrecht Film- und Tonaufnahmen für von der Gemeindevertretung selbst veranlasste Ton- und Bildübertragungen ausdrücklich zulässt, wie § 36 Abs. 3 BbgKommunalVerf. Zu beachten sind gegebenenfalls landesspezifisch geregelte Satzungsvorbehalte und Widerspruchsrechte.

In Ländern, deren Kommunalverfassungsrecht keine spezielle Rechtsgrundlage für Ton- und Bildübertragungen enthält, besteht hingegen Rechtsunsicherheit, zumal das Bundesverwaltungsgericht im Jahre 1990 die Tonbandaufzeichnung einer öffentlichen Gemeinderatssitzung durch einen Journalisten für unzulässig erklärt hat. Es bestehen allerdings berechtigte Zweifel, ob angesichts der fortentwickelten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Medienöffentlichkeit in Gerichtsverhandlungen und der technologischen Veränderungen das Bundesverwaltungsgericht heute noch einmal so entscheiden würde. Das Saarländische Verwaltungsgericht hat im Jahre 2011 Filmaufnahmen bei öffentlichen Ratssitzungen zu Sendezwecken durch einen regionalen Rundfunksender für zulässig gehalten.

Problematisch bleibt aber, dass Übertragungen per Livestream – anders als regionale Rundfunkprogramme und anders auch als der örtliche Wirkungskreis einer Gemeinde – prinzipiell eine weltumspannende Reichweite haben. Wenn – wie in den meisten Bundesländern – keine ausdrückliche Rechtsgrundlage besteht, sollte daher vor allem auch unter datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Aspekten die ausdrückliche Einwilligung aller Gemeinderatsmitglieder eingeholt werden. Wird die Einwilligung nicht erteilt, ist von einem Livestream abzusehen oder zumindest darauf zu achten, dass die widersprechenden Gemeinderatsmitglieder in Bild und Ton nicht gesendet werden. Gleiches gilt für die anwesende Öffentlichkeit.

Weitere Probleme

Hinzu kommen weitere Aspekte, die bei digitalen Gremiensitzungen zu beachten sind. Dazu zählt u.a., dass geheime Abstimmungen und geheime Wahlen, mit den derzeit vorhandenen technischen Verfahren im Rahmen einer Videokonferenz nicht möglich erscheinen, weil die Geheimhaltung der Stimmabgabe nicht zu gewährleisten sein wird. Dies gilt auch für nichtöffentliche Gremiensitzungen. Ohnehin sind nichtöffentliche Gremiensitzungen per Videokonferenz nicht von vornherein deshalb rechtlich unproblematisch, weil der Öffentlichkeitsgrundsatz hier nicht gilt. Denn die Kehrseite der Medaille ist die Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflicht. Bei einer Videokonferenz kann aber der Kreis der Zuhörer nicht sicher beschränkt werden.

Fazit

Auch wenn die Implementierung digitaler Sitzungsformate zu begrüßen ist, in Corona-Zeiten und darüber hinaus, muss sichergestellt sein, dass rechtskonforme Lösungen für die aufgezeigten Probleme existieren. Denn eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes führt regelmäßig zur Nichtigkeit des gefassten Beschlusses. Hier sind die Landesgesetzgeber gefragt. Ein genereller Ersatz von Präsenzsitzungen durch digitale Formate wird allerdings kaum zulässig sein.

Dieser Beitrag ist erschienen im Magazin KOMMUNAL 3/2021.

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