Kommunale Daseinsvorsorge aus rechtlicher Sicht

Der Begriff Daseinsvorsorge wird nicht selten als schillernd, unscharf oder konturenlos kritisiert. Mancher spricht gar von einem Kunstbegriff. Im Kern lässt sich diesen Charakterisierungen ein gewisser Wahrheitsgehalt sicher nicht absprechen, fehlt es doch an einer gesetzlichen Definition. Es verwundert daher nicht, dass in der juristischen Fachwelt Streit über Umfang und Grenzen der Daseinsvorsorge besteht. An dieser Stelle soll freilich nicht näher auf rechtsdogmatische Diskussionen eingegangen werden, die in der kommunalen Praxis nur selten einen Mehrwert versprechen. Gleichwohl lohnt ein historischer Blick auf die Ursprünge der Daseinsvorsorge, um ein grundlegendes Verständnis zu gewinnen.

Daseinsvorsorge als Sicherung existenzieller Bedürfnisse

Der Begriff Daseinsvorsorge geht zurück auf den Verwaltungsrechtler Ernst Forsthoff, der – geboren 1902 – einen Staat vorfand, der sich mit zunehmender Industrialisierung und Technisierung, der Zusammenballung vieler Menschen auf engem Raum in Großstädten, der Verarmung weiter Bevölkerungsgruppen sowie der Auflösung familiärer und nachbarschaftlicher Bindungen auseinandersetzen musste. Aus der Erkenntnis heraus, dass der Staat vor diesem Hintergrund vermehrt auch soziale Aufgaben wahrnehmen müsse, wies Forsthoff im Jahr 1938 auf die Entwicklung einer gegenüber dem Bürger nicht nur beschränkenden, sondern auch leistenden Verwaltung hin. Der Begriff der Daseinsvorsorge war damit vorgezeichnet. Forsthoff verstand ihn als die staatliche Aufgabe zur Bereitstellung der für ein sinnvolles menschliches Dasein notwendigen Güter und Leistungen.

Daseinsvorsorge als soziale Teilhabe

Dieser ursprünglich existenzielle Bezug der Daseinsvorsorge auf die elementaren Bedürfnisse des Menschen wurde später relativiert. So war es Forsthoff selbst, der Ende der 1950er Jahre den Begriff Daseinsvorsorge weiter fasste im Sinne einer Bereitstellung der für ein sinnvolles menschliches Dasein notwendigen oder nützlichen Leistungen und Güter. Dies gilt für den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich gleichermaßen. Daseinsvorsorge erfasst demnach all das, was nach den technischen und finanziellen Möglichkeiten zur normalen Ausstattung des modernen Daseins gehört. Damit wird auch der Grundrechtsbezug der Aufgaben der Daseinsvorsorge als soziale Teilhabe aller Bürger deutlich.

Von A wie Abfall bis W wie Wasser

Um diese historischen Bezüge mit etwas Leben zu füllen, seien exemplarisch einige der bekannten Beispiele aufgeführt: Versorgung mit Energie und Wasser, Entsorgung von Abwasser und Abfall, ÖPNV, Bereitstellung eines Schul- und Bildungssystems sowie eines Gesundheitssystems, Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Bereitstellung von öffentlichen Grünflächen und Bädern, Theatern, Museen und Büchereien, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Rettungsdiensten, etc. Mittlerweile gibt es auch erste Denkansätze für eine digitale Daseinsvorsorge.

Daseinsvorsorge als kommunale Selbstverwaltungsangelegenheit

Die Wahrnehmung vieler Aufgaben der Daseinsvorsorge ist in der örtlichen Gemeinschaft verwurzelt. Im Rahmen ihrer Selbstverwaltung erfüllen zumeist die Kommunen diese Aufgaben als Selbstverwaltungsangelegenheiten. Dabei gewährt ihnen das Grundgesetz in Gestalt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts ein eigenverantwortliches Zugriffsrecht auf alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Die Kommunen können im Ausgangspunkt frei entscheiden, welcher Aufgaben der Daseinsvorsorge sie sich im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit annehmen. Lediglich für besonders wichtige Aufgaben besteht kraft Gesetzes die Pflicht zur Aufgabenerfüllung, etwa bei der Abwasserbeseitigung und der Abfallentsorgung (pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben). Auch wenn grundlegende Aufgaben der Daseinsversorge zum Beispiel wegen eines Marktversagens sonst nicht erfüllt würden, ist eine Pflicht zur kommunalen Aufgabenübernahme im Rahmen der Gewährleistungsverantwortung denkbar.

Organisationsermessen der Kommunen

Die Frage des Wie der Aufgabenerfüllung unterliegt weitgehend ebenfalls dem Organisationsermessen der Kommunen. So kann eine Kommune grundsätzlich frei entscheiden, ob eine Aufgabe der Daseinsvorsorge durch den vorhandenen Verwaltungsapparat (Grünflächenbewirtschaftung durch das Grünflächenamt) oder z.B. mittels eines Eigenbetriebs bzw. einer eigenbetriebsähnlichen Einrichtung erfüllt wird. Auch privatwirtschaftliche Organisationsformen sind möglich. So werden in der Praxis kommunale Stadtwerke eher selten als Eigenbetrieb, sondern häufiger als GmbH, zum Teil auch als Aktiengesellschaft geführt.

(Kein) Vorbehalt der Privatwirtschaft

Jenseits des Beihilfe- und Vergaberechts, auf das hier nicht näher eingegangen wird, ergeben sich rechtliche Bindungen für die kommunale Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Daseinsvorsorge vor allem aus dem Kommunalwirtschaftsrecht in den jeweiligen Gemeindeordnungen der Länder, wobei hier exemplarisch die Gemeindeordnung NRW zugrunde gelegt wird. So gilt für die meisten wirtschaftlichen Betätigungen von Kommunen der Vorbehalt der Privatwirtschaft, wonach eine gemeindliche wirtschaftliche Betätigung verboten ist, wenn die öffentliche Aufgabe besser und wirtschaftlicher von der Privatwirtschaft erfüllt werden kann. Je nach Bundesland variieren die genauen Formulierungen allerdings. Wichtig ist auch, dass bestimmte Aufgaben der Daseinsvorsorge kraft Gesetzes nicht als wirtschaftliche Betätigung, sondern als nichtwirtschaftliche Aufgabenerfüllung gelten, sodass der Vorbehalt der Privatwirtschaft hier nicht zur Anwendung kommt. Dies betrifft etwa die Abfall- und Abwasserentsorgung, Schulen, KiTas, Museen, Theater, Kinos, Stadthallen, Sportanlagen, Zoos, Park- und Gartenanlagen, Bäder, Krankenhäuser und Seniorenheime, etc. Auch der Betrieb von Telekommunikationsnetzen, wie er von einigen Kommunen in jüngerer Vergangenheit vermehrt angestrebt wird, fällt in NRW nicht unter den Vorbehalt der Privatwirtschaft.

Grenzen der Privatisierung von Aufgaben der Daseinsvorsorge

Im Übrigen bestehen weitergehende Beschränkungen vor allem für kommunale Unternehmen in Privatrechtsform, insbesondere mit Blick auf Haftungsbegrenzungen und Einflussnahmemöglichkeiten für die beteiligten Kommunen und deren Amtsträger. Ferner ist zu beachten, dass Unternehmen in Privatrechtsform, auch wenn es sich um kommunale Eigengesellschaften handelt, Hoheitsbefugnisse ohne entsprechende gesetzliche Grundlage, die regelmäßig nicht existiert, nicht ausüben dürfen. Eine kommunale Stadtwerke GmbH, derer sich eine Kommune im Rahmen der Erfüllung ihrer Abwasserbeseitigungspflicht bedient, darf z.B. keine Gebühren- oder Beitragsbescheide erlassen. Auch darf eine Kommune sich pflichtiger Selbstverwaltungsaufgaben nicht vollständig entledigen, diese also nicht in Gänze der Privatwirtschaft überantworten. Die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger dürfen sich also nicht ihrer Abfallentsorgungsverantwortung entziehen. Hier ist regelmäßig nur die Einbeziehung Privater als Verwaltungshelfer im Wege der Beauftragung zulässig. Letztverantwortlich bleibt dann in jedem Falle die Kommune

Beim Recht der öffentlichen Aufgaben und dem damit eng verbundenen kommunalen Organisationsrecht einschließlich dem Recht der Privatisierung und Rekommunalisierung handelt es sich um komplexe Rechtsbereiche, die hier nur sehr kursorisch aufbereitet werden können. Für rechtssichere Gestaltungen ist daher immer eine Einzelfallbetrachtung erforderlich und es bietet sich in der Regel rechtlicher Rat an.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Magazin KOMMUNAL 12/2020.

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