Mehrjährige Urlaubsansprüche – Aktuelles zu Verfall und Verjährung

Die Rechtsprechung hat zuletzt durch den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 29.09.2020 (9 AZR 266/20 (A)) eine Entwicklung genommen, die die Gefahr kumulierter Urlaubsansprüche zunehmend vergrößert. Hiermit korrespondiert zwangsläufig auch die Gefahr einer erhöhten wirtschaftlichen Belastung von Arbeitgebern (w/m/d) gerade anlässlich der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, weil sodann eine finanzielle Abgeltung unter Umständen für mehrere Jahre zu leisten ist.

Ausgangslage und status quo

Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) bestimmt, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Eine Übertragung in das nächste Kalenderjahr ist grundsätzlich nicht statthaft. Dies hat zur Folge, dass der Urlaub regelmäßig bereits am 31. Dezember eines Jahres verfällt. Ausnahmen sind nur möglich, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers (w/m/d) liegende Gründe dies rechtfertigen. Allerdings muss der Urlaub im Fall der Übertragung dann spätestens in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden, um dessen Verfall zu vermeiden.

Das Bundesarbeitsgericht hatte wiederholt und jahrelang entschieden, dass nicht genommener Urlaub unabhängig davon verfiel, ob der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber zuvor in die Lage versetzt worden war, den ihm zustehenden Urlaub zu nehmen. Das bisherige Verständnis der Regelung im BUrlG wurde dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Bewertung und Entscheidung vorgelegt. Mit Beschluss vom 13.12.2016 ersuchte das Bundesarbeitsgericht um Vorabentscheidung, ob Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) einer nationalen Regelung entgegenstehen, die – gemäß dem bisherigen Verständnis – vorsieht, dass ein Arbeitnehmer Urlaub unter Angabe seiner Wünsche zu dessen zeitlicher Festlegung beantragen muss, damit der Urlaubsanspruch am Ende des Bezugszeitraums nicht ersatzlos untergeht (vgl. 9 AZR 541/15 (A)).

Der Gerichtshof hat sodann mit Urteil vom 06.11.2018 entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach ein Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch und in dieser Konsequenz auch seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses für nicht genommenen Urlaub verliert, sofern er keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat (vgl. EuGH 06.11.2018, C-684/16).

Vor dem Hintergrund hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 19.02.2019 dem Arbeitgeber eine sog. Mitwirkungsobliegenheit auferlegt und mit Rücksicht auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union wörtlich festgestellt: „Der Senat entwickelt seine bisherige Rechtsprechung dementsprechend weiter“ (vgl. 9 AZR 423/16).

Tatsächlich war hiermit eine grundlegende Kehrtwende verbunden. Diese wurde vom Bundesarbeitsgericht aber noch als eine richtlinienkonforme Auslegung des BUrlG qualifiziert, was von Rechts wegen erst die grundsätzlich fortbestehende Anwendbarkeit der dortigen Verfallregelungen ermöglichte. Allerdings wird von Arbeitgebern seitdem ein hohes Maß an professionellem Urlaubsmanagement gefordert. Konkret bedeutet dies, dass nach Maßgabe der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der des sich daran anschließenden Bundesarbeitsgerichts nunmehr eine Initiativlast für Arbeitgeber besteht, deren Nichtbeachtung dazu führt, dass ein Verfall von Urlaubsansprüchen nicht eintreten kann. Wörtlich stellt das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 19.02.2019 daher fest (vgl. a.a.O., Rn 16):

„Der Arbeitgeber kann sich nach der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers deshalb nur berufen, wenn er zuvor konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge getragen hat, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird. Der Arbeitgeber trägt die Beweislast für die Erfüllung dieser Mitwirkungsobliegenheiten.“

Arbeitgeber haben von Rechts wegen die Möglichkeit, den dargestellten Obliegenheiten auf verschiedene Weise zu genügen, wenngleich die hieran gestellten Anforderungen durchgängig hoch sind. Eben deshalb besteht in der Praxis die Gefahr, dass Urlaubsansprüche weder am Ende eines Kalenderjahres noch am Ende eines Übertragungszeitraums verfallen, sondern vielmehr mit neuen Urlaubsansprüchen alljährlich kumulieren, was im Ergebnis zu mehrjährigen Urlaubsansprüchen führen kann.

In dem Zusammenhang gewinnt die Frage eine besondere Bedeutung, ob solche Urlaubsansprüche, die im Lichte der aktuellen Rechtsprechung nicht verfallen sind, zumindest der Verjährung unterliegen. Zwar ist die hiermit verbundene Frist von 3 Jahren bereits deutlich länger als die gesetzliche Regelung zum Verfall von Urlaubsansprüchen. Wenn aber eine Verjährung der Urlaubsansprüche grundsätzlich möglich wäre, bliebe es Arbeitgebern erspart, bei einem etwaigen Systemfehler im eigenen Urlaubsmanagement Leistungen unter Umständen auch noch für eine Vielzahl von Jahren erbringen zu müssen.

Dies hätte ansonsten zur Folge, dass ein Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis unter Umständen monatelang urlaubsbedingt unter Fortzahlung der regulären Vergütung abwesend wäre oder aber bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine dementsprechende Abgeltung geleistet werden müsste. Die hieraus resultierenden Belastungen in einem noch laufenden Arbeitsverhältnis und/oder finanziellen Konsequenzen können somit erheblich sein, wenn nicht zumindest eine Zäsur durch das Rechtsinstitut der Verjährung möglich ist.

Die Frage, ob Urlaubsansprüche der Verjährung unterliegen, ist bereits seit längerer Zeit umstritten. Zum Teil wird die Anwendbarkeit der Verjährungsregeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) schon mit Hinweis darauf verneint, dass diese durch das eigenständige Fristenregime des BUrlG verdrängt werden. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat in seiner Entscheidung vom 21.02.2020 vorausgesetzt, dass das deutsche Recht nur dann richtlinienkonform sei, wenn der Urlaubsanspruch in den Fällen, in denen ein Arbeitgeber seine Mitwirkungspflichten nicht erfüllt hat, auch nicht verjähre (vgl. LAG Düsseldorf, 10 Sa 180/19).

Nach Auffassung des Gerichts resultiere dies aus dem intendierten Arbeitnehmerschutz als einem Kerngedanken der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Mit Rücksicht hierauf seien die Grenzen für den Verlust eines Anspruchs auf Urlaub unabhängig davon einschlägig, auf welcher Grundlage der Arbeitnehmer seinen Anspruch verliert. Es komme deshalb nicht darauf an, ob es insoweit um spezielle urlaubsrechtliche Fristen oder um eine allgemeine zivilrechtliche Verjährungsvorschrift gehe. Entscheidend müsse in beiden Fällen sein, ob ein Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten beim Urlaubsmanagement nach Maßgabe der Wertungen des Gerichtshofs und der sich dem zwischenzeitlich anschließenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nachgekommen sei.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat gegen sein Urteil vom 21.02.2020 die Revision zugelassen, worauf nunmehr vom Bundesarbeitsgericht mit dem eingangs zitierten Beschluss vom 29.09.2020 ein Vorabentscheidungsverfahren eingeleitet wurde. Darin hat der 9. Senat den Gerichtshof um die Beantwortung der Frage ersucht, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC in Einklang steht, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnte, gem. § 194 Abs. 1, § 195 BGB der Verjährung unterliegt.

Empfehlung für die Praxis

Arbeitgebern ist schon mit Rücksicht auf die bisherige Entwicklung der Rechtsprechung in den letzten Jahren dringend zu empfehlen, das eigene Urlaubsmanagement erforderlichenfalls zu professionalisieren. Das jüngste vom Bundesarbeitsgericht eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union gibt hierfür eine zusätzliche Veranlassung.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind Arbeitgeber in der Wahl ihrer Mittel frei, um den dargestellten Mitwirkungsobliegenheiten zu entsprechen, die erst rechtlich den Verfall eines Urlaubsanspruchs ermöglichen. Diese Mittel müssen aber für Arbeitnehmer in dem Sinne eindeutig sein, dass der im Einzelfall noch bestehende Urlaubsanspruch konkret in Arbeitstagen angegeben wird, verbunden mit der klaren Belehrung, dass und unter welchen Voraussetzungen eben dieser Anspruch ggf. verfällt. Zulässig und zweckmäßig ist es nach dem Bundesarbeitsgericht insbesondere, eine entsprechende Aufklärung in Textform zu geben, wobei es im Streitfall natürlich erforderlich wäre, dass ein Arbeitgeber auch die Möglichkeit der Kenntnisnahme einer solchen Aufklärung gerichtsfest nachweisen kann.

Ansprechpartner

Dr. Uwe Julius Faustmann

Arbeits- und Dienstvertragsrecht, Insolvenzen und Sanierungen, Wirtschaft und Finanzen

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