Neue Ziele für die Mitbestimmung – Was will die Ampel?

Am 08.12.2021 wurde Olaf Scholz zum neunten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Einen Tag zuvor erfolgte die Unterzeichnung des Koalitionsvertrages, der erklärtermaßen eine Weiterentwicklung der Mitbestimmung zum Ziel hat. Zwei wesentliche Punkte sind hierbei die angestrebte Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz sowie die Qualifizierung einer Behinderung der demokratischen Mitbestimmung zum sogenannten Offizialdelikt.

Worum geht es?

Konzernzurechnung

Die Aufgabe von Aufsichtsräten besteht bekanntlich darin, die organschaftlichen VertreterInnen ihrer Unternehmen zu überwachen. Nach dem Mitbestimmungsgesetz ist hierfür obligatorisch ein paritätisch besetztes Gremium zuständig, das sich aus der gleichen Anzahl von Repräsentanten der AnteilseignerInnen und ArbeitnehmerInnen zusammensetzt, wobei der oder die Vorsitzende bei einer etwaigen Pattsituation zwei Stimmen hat.

Die paritätische Mitbestimmung kommt allerdings nur Betracht, wenn das betreffende Unternehmen in der Regel mehr als 2.000 ArbeitnehmerInnen beschäftigt. Andernfalls gilt das Drittelbeteiligungsgesetz, sofern das Unternehmen in der Regel zumindest über mehr als 500 Beschäftigte verfügt. Der insoweit qualitativ wesentliche Unterschied besteht darin, dass sich ein nach dem Drittelbeteiligungsgesetz gebildeter Aufsichtsrat nur zu einem Drittel aus Vertretern der ArbeitnehmerInnen rekrutiert, sodass die Seite der AnteilseignerInnen strukturell eine stets komfortable Mehrheit bei den jeweiligen Abstimmungen hat.

In dem Zusammenhang gewinnt die etwaige Zurechnung von Beschäftigten in Konzernen eine besondere Bedeutung. Denn vielfach sind es die Holding-Gesellschaften, die zwar selbst über eine nur unbedeutende Anzahl von Beschäftigten verfügen, ihrerseits aber als alleinige Gesellschafterinnen den maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der allein operativ tätigen Tochtergesellschaften haben. Um in einer solchen Konstellation die Teilhabe der ArbeitnehmerInnen am Meinungsbildungsprozess im Aufsichtsrat zu gewährleisten, bedarf es der Zurechnung von Beschäftigten, um bei der Holding-Gesellschaft hierdurch erst den notwendigen Schwellenwert zur Konstituierung eines Aufsichtsrates dort zu erreichen. Dies wird durch das Mitbestimmungsgesetz im Unterschied zum Drittelbeteiligungsgesetz grundsätzlich sichergestellt.

Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass die rechtlich und faktisch machtvollen Holding-Gesellschaften grundsätzlich keinen Aufsichtsrat und damit keine Arbeitnehmervertretung auf Unternehmensebene benötigen, wenn deren operativ tätigen Tochterunternehmen beispielsweise zwar über viele hundert Beschäftigte, aber letztlich in der Regel über weniger als 2001 ArbeitnehmerInnen verfügen. Gesetzliche Ausnahmen bestehen im Fall eines Beherrschungsvertrages oder einer sogenannten Eingliederung, wobei Letzteres jedoch nach Maßgabe des Aktienrechts bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung von vornherein ausscheidet.

In der Praxis wird deshalb nicht selten der Versuch unternommen, die Regularien des Mitbestimmungsgesetzes auch auf solche Unternehmen anzuwenden, für die eine Konzernzurechnung nicht gilt und die die gesetzliche Mindestzahl von Beschäftigten ihrerseits allein nicht erreichen. Dies geschieht typischerweise auf Initiative von Gewerkschaften durch den Abschluss entsprechender Firmentarifverträge, die dann vielfach auch zusätzliche Regelungen enthalten, um die Arbeitnehmerseite bei ihrer Tätigkeit im Aufsichtsrat weiter zu stärken.

Eine solche Vorgehensweise ist jedoch nicht unproblematisch, selbst wenn sich ein Unternehmen – aus welcher Erwägung auch immer – freiwillig hierauf einlässt. Dies gilt auch im Fall von Regelwerken, die offensichtlich allein die Arbeitnehmerseite begünstigen, weil zum Teil und von namhafter Stelle bereits Eingriffe in die gesetzliche Architektur als solche nicht akzeptiert werden. Hintergrund ist insoweit die Überlegung, dass das Drittelbeteiligungsgesetz spiegelbildlich zum Verbot einer abweichenden Vereinbarung auch keine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte ermögliche.

Der rechtliche Streit über die hiermit im Zusammenhang stehenden Fragen wird prinzipiell auch in der neuen Legislaturperiode fortbestehen. Ein bedeutsamer Teilaspekt des jetzigen Koalitionsvertrages ist daher die eingangs genannte Konzernzurechnung, wonach eine maßgebliche Regelung im Mitbestimmungsgesetz zukünftig auf das Drittelbeteiligungsgesetz Anwendung finden soll, wenn faktisch eine echte Beherrschung der Obergesellschaft vorliegt. Mit der voraussichtlichen Änderung der Gesetzeslage wird nicht nur eine zentrale Forderung von Gewerkschaftsseite erfüllt und die Teilhabe an der Mitbestimmung neu justiert, sondern dann auch der juristische Streit diesbezüglich zumindest in wesentlicher Hinsicht obsolet.

Offizialdelikt

Die faktische Möglichkeit des störungsfreien Handelns von Betriebsräten ist ein hohes Gut, damit das demokratisch legitimierte Gremium wie auch dessen einzelnen Mitglieder die ihnen übertragenen Aufgaben bestimmungsgemäß erfüllen können. Der Gesetzgeber misst dem erkennbar eine besondere Bedeutung bei. Denn einzelnen Verstößen hiergegen kann gleich in mehrfacher Weise arbeitsrechtlich entgegengetreten werden. Darüber hinaus und insbesondere handelt es sich bei solchen Störungen nicht etwa um eine bloße Ordnungswidrigkeit, sondern unter Umständen um eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von immerhin bis zu einem Jahr geahndet werden kann.

Bemerkenswert ist, dass es sich insoweit um einen Straftatbestand außerhalb des Strafgesetzbuches handelt, der nämlich im Betriebsverfassungsgesetz selbst geregelt ist. Danach geht es um den Schutz der Wahl des Betriebsrats vor Behinderungen oder durch die Zuführung oder Androhung von Nachteilen oder durch die Gewährung oder das Versprechen von Vorteilen. Auch die Behinderung oder Störung der anschließenden Tätigkeit des gewählten Betriebsrats wird durch eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr sanktioniert.

Wenngleich Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen faktisch natürlich in unterschiedlichster Weise denkbar sind, kommt der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern in der Praxis jedoch eine besondere Bedeutung zu. Dies resultiert aus der Schwierigkeit, für freigestellte Mitglieder des Betriebsrats eine solche Vergütung zu leisten, die dem gesetzlichen Charakter als Ehrenamt gerecht wird. Dies wiederum hat zur Folge, dass die individuellen Leistungen nicht niedriger, aber auch keinesfalls höher sein dürfen als diejenigen, die das betreffende Betriebsratsmitglied bezöge, wenn es nicht infolge der Betriebsratsarbeit – aufgrund der hierfür notwendigen Größe des Betriebsratsgremiums – freigestellt wäre.

Sofern die frühere Arbeitsleistung in dem angestammten Beruf noch nicht lange zurückliegt, entstehen hieraus regelmäßig keine größeren Probleme. Anders verhält es sich im Hinblick auf solche Personen, die unter Umständen schon Jahre oder gar Jahrzehnte ausschließlich als freigestellte Betriebsratsmitglieder tätig sind. Nicht selten wird in solchen Fällen nämlich eine Vergütung praktiziert, die aus der subjektiven Sicht eines Unternehmens legitimerweise etwaige Diskussionen über die Angemessenheit der Höhe vermeidet, objektiv jedoch bereits sachwidrig und damit in einer auch für die Betriebsratsmitglieder selbst potenziell strafbewehrten Weise überhöht ist.

Eine Besonderheit der bisherigen Regelung im Betriebsverfassungsgesetz hierzu besteht allerdings darin, dass es sich um ein sogenanntes Antragsdelikt handelt. Eben deshalb ist für die Staatsanwaltschaften insoweit eine Strafverfolgung auch nur möglich, wenn ein entsprechender Strafantrag von dem betreffenden Unternehmen oder dem dortigen Betriebsrat als den gesetzlich Antragsberechtigten gestellt wird.

Naheliegenderweise haben aber in der zuvor beschriebenen Konstellation beide Seiten regelmäßig kein Interesse an einer Strafverfolgung nach Maßgabe des Betriebsverfassungsgesetzes, sodass es ebenso regelmäßig auch an einer entsprechenden Antragstellung fehlt. Dennoch ist es gerade nach Betriebsprüfungen der Sozialversicherungsträger und damit etwaig verbundenen Kontrollmitteilungen an die Staatsanwaltschaft möglich, dass diese sodann wegen einer Untreue zulasten der wirtschaftlichen Eigentümer des Unternehmens gemäß dem Strafgesetzbuch – also nicht gemäß dem Betriebsverfassungsgesetz – ermittelt, wozu es keines gesonderten Antrags bedarf.

Darüber hinaus findet eine Strafverfolgung auch nach Maßgabe des Betriebsverfassungsgesetzes etwa dann statt, wenn ein Unternehmen von einem neuen Eigentümer übernommen wurde und dieser sich anschließend aus Gründen der Compliance dazu veranlasst sieht, eine aus seiner Sicht gesetzeswidrige Vergütungspraxis in der Vergangenheit der Strafverfolgung durch Antragstellung zuzuführen. Ein solches Vorgehen kommt in der Praxis nicht selten gerade deshalb vor, weil ein Unternehmenskauf typischerweise die Auswechselung der bisherigen Geschäftsführung zur Folge hat und die neuen Organe im Hinblick auf die bisherige Vergütungspraxis nicht ihrerseits strafrechtlich gefährdet sind. 

An dieser Stelle setzt nun die im Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung an. Wenn nämlich zukünftig Verstöße der beschriebenen Art auch im Betriebsverfassungsgesetz als Offizialdelikt geregelt werden sollten, bedarf es für die Strafverfolgung keiner Antragstellung derer mehr, die an einer Strafverfolgung in dem beschriebenen Zusammenhang jedenfalls regelmäßig kein Interesse haben. Vielmehr wird sodann die Kenntnisnahme von solchen Verstößen seitens der Staatsanwaltschaft – durch was auch immer – ausreichend dafür sein, dass bereits von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss, sofern ein entsprechender Anfangsverdacht bejaht wird.

Die absehbare Entwicklung macht deutlich, dass einer gesetzeskonformen Vergütung der Betriebsratsmitglieder zukünftig eine noch größere Bedeutung als bisher zukommt. GeschäftsführerInnen, Vorstandsmitglieder, aber auch Betriebsratsmitglieder selbst sollten dies schon aus einem Selbstschutz heraus durchaus ernst nehmen. Die praktischen Probleme werden jedoch allein durch die angekündigte Regelung eines Offizialdelikts leider nicht kleiner, um eine Vergütung der Höhe nach zu bestimmen, die dem Betriebsverfassungsgesetz gerecht wird und damit eine Strafbarkeit vermeidet.

Hierfür gibt es allerdings die Möglichkeit, innerbetriebliche Regelwerke zu schaffen, die als probate Mittel schon etwaige Vergütungsstreitigkeiten zwischen dem Unternehmen und seinen Betriebsratsmitgliedern vermeiden können. Sofern dies nicht gelingt, werden solche Modelle jedoch von den sodann gegebenenfalls angerufenen Arbeitsgerichten erfahrungsgemäß anerkannt. Dies hat einmal zur Folge, dass etwaige Klagen einzelner Betriebsratsmitglieder auf eine höhere Vergütung regelmäßig keine Aussicht auf Erfolg haben.

Zum anderen und insbesondere sind solche Regelwerke in Unternehmen, die eine gesetzeskonforme Vergütung der Betriebsratsmitglieder intendieren, grundsätzlich auch dazu geeignet, der Gefahr eines strafbewehrten Verhaltens in dem Zusammenhang mit Erfolg zu begegnen. Dies kann daher an dieser Stelle die Schärfe des Koalitionsvertrages vom 07.12.2021 erheblich mildern, wenn der Gesetzgeber den beschriebenen Straftatbestand erwartungsgemäß als Offizialdelikt normiert.

Ansprechpartner

Dr. Uwe Julius Faustmann

Arbeits- und Dienstvertragsrecht, Insolvenzen und Sanierungen, Wirtschaft und Finanzen

0201 1095 708 | faustmann@raehp.de