Privatisierung kommunaler Hoheitsaufgaben – Was geht und was nicht?
Nicht nur in Zeiten coronabedingt wegbrechender Einnahmen stellt sich für viele Kommunen unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Effizienz der Haushaltsführung die Frage nach einer unter Umständen kostengünstigeren Auslagerung auch hoheitlicher Aufgaben auf Private. Die rechtlichen Rahmenbedingungen beleuchtet dieser Beitrag.
Privatisierung staatlicher Aufgaben
Der Begriff der Privatisierung staatlicher Aufgaben erfasst ein weites Feld unterschiedlicher Bereiche, insbesondere der Kommunalwirtschaft. Die verschiedenen Formen der Einbeziehung Privater in die kommunale Aufgabenerledigung sind – trotz aller Tendenzen zur Rekommunalisierung – vor allem im Zusammenhang mit der Daseinsvorsorge (ÖPNV, Ver- und Entsorgungswirtschaft, etc.) weit verbreitet. Je nach Art der Aufgabe, um die es geht, und je nach konkreter Ausgestaltung der Aufgabenübertragung variieren die rechtlichen Anforderungen zum „Ob“ und „Wie“.
Verfassungsrechtliche Grenzen
Aus Verfassungsgründen unterliegt die Ausübung staatlicher Hoheitsbefugnisse durch Private den strengsten Anforderungen. Denn für die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe gilt nach dem Grundgesetz in der Regel der Funktionsvorbehalt zugunsten des Berufsbeamtentums. Daher ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein besonderer sachlicher Grund für die Übertragung hoheitsrechtlicher Befugnisse auf Private erforderlich, der nicht allein fiskalische Interessen zum Gegenstand haben darf. Außerdem erlangen im hoheitlichen Tätigkeitsbereich der Grundrechtsschutz, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Demokratieprinzip eine wichtige Bedeutung. Denn eine demokratische Legitimation Privater lässt sich nur mittelbar ableiten. Insbesondere der aufsichtsrechtlichen Bindung von hoheitlich tätig werdenden Privaten, aber auch dem Umfang und der Tragweite einer Übertragung hoheitlicher Befugnisse, kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu.
Hoheitsrechtliche Befugnisse?
Gelten also für die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse durch Private die strengsten Anforderungen, stellt sich die Frage, was unter „hoheitsrechtlichen Befugnissen“ überhaupt zu verstehen ist. Im Einzelnen ist diesbezüglich wie so oft in der juristischen Fachwelt Vieles umstritten. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass es sich jedenfalls um die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse handelt, wenn Befugnisse zum Grundrechtseingriff im engeren Sinne ausgeübt werden, der Staat also durch Befehl oder Zwang unmittelbar beschränkend auf grundrechtlich geschützte Freiheiten einwirkt. Dies gilt insbesondere für den gesamten Bereich der Eingriffsverwaltung, also für das Ordnungsrecht, sowie für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht.
Verwaltungshilfe oder Beleihung?
Steht fest, dass eine bestimmte Aufgabe hoheitsrechtlicher Natur ist und sollen Private gleichwohl mit der Wahrnehmung betraut werden, bestehen dazu im Ausgangspunkt zwei Möglichkeiten. Zum einen kann der Hoheitsträger den Privaten im Wege der Verwaltungshilfe, quasi als bloßer „Erfüllungsgehilfe“, weisungsgebunden in die Aufgabenerledigung einbinden, ohne dabei einer besonderen Rechtfertigung vor dem Funktionsvorbehalt zu unterliegen (z.B. Beauftragung eines Abschleppunternehmers zur Umsetzung eines verbotswidrig abgestellten Kfz). Zum anderen kann eine Beleihung vorgenommen werden, die aber den oben erwähnten verfassungsrechtlichen Bindungen unterliegt und wegen der Ausnahme vom Funktionsvorbehalt einer gesetzlichen Grundlage bedarf, welche ihrerseits Umfang und Grenzen der hoheitsrechtlichen Befugnisse des Privaten bestimmt (z.B. Bezirksschornsteinfeger, Flugkapitän hinsichtlich der Sicherheit an Bord des im Flug befindlichen Flugzeugs).
Die Grenzen zwischen bloßer Verwaltungshilfe und „faktischer“ Beleihung sind unscharf, juristisch nicht abschließend geklärt und daher im Einzelfall zu bestimmen. Maßgebliche Wertungskriterien sind die Eigenständigkeit des Handelns durch den Privaten, wer „Herr des Verfahrens“ ist bzw. das Letztentscheidungsrecht hat oder ob es zu einer faktischen „Zuständigkeitsverlagerung“ auf den Privaten kommt. Handelt es sich nach diesen Kriterien im Einzelfall bei dem Privaten nicht lediglich um einen „Erfüllungsgehilfen“, sondern liegt eine „faktische Beleihung“ vor, bedarf es in jedem Falle einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage, die dem Funktionsbehalt gerecht wird. Andernfalls ist die Aufgabenübertragung rechtswidrig.
Keine Verkehrsüberwachung durch private Dienstleister
Eine mangels Rechtsgrundlage unzulässige „faktische“ Beleihung hat in insgesamt drei Entscheidungen das OLG Frankfurt, zuletzt im Januar 2020, bei der Überwachung des fließenden Verkehrs und auch des ruhenden Verkehrs durch einen privaten Dienstleister angenommen. Demgemäß waren die entsprechenden Bußgeldbescheide rechtswidrig.
Überwachung von Coronaschutzmaßnahmen durch Private?
Problematisch dürfte daher auch die Übertragung von Überwachungsaufgaben zur Einhaltung der in den jeweiligen Verordnungen der Länder geregelten Coronaschutzmaßnahmen auf Private sein. Dies wird jedenfalls dann gelten, wenn – wie bei der Verkehrsüberwachung – allein das private Sicherheitsunternehmen systematisch die jeweiligen Verstöße feststellt, die zuständige Behörde also auf der Grundlage dieser Feststellungen lediglich noch den Bußgeldbescheid erstellt. Etwas anderes mag zumindest dann gelten, wenn der private Dienstleister nicht generell mit dieser Aufgabe betraut ist, sondern ausschließlich im Einzelfall – wie es jedem anderen privaten Anzeigenerstatter auch möglich wäre – einen Hinweis an die zuständige Behörde gibt, dass eine Person die Hygienevorgaben nicht einhält, und die Behörde selbst weitere Ermittlungen anstellt (etwa Zeugenbefragungen) und erforderlichenfalls Beweiswürdigungen vornimmt. Die Grenzen sind je nach Einzelfallgestaltung sicher fließend.
Abschließendes
Wegen der weitreichenden Konsequenzen einer unzulässigen „faktischen“ Beleihung, etwa Rechtswidrigkeit einer Vielzahl an Bußgeldbescheiden, ist also bei der Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf Private Vorsicht geboten und sollte im Zweifelsfalle rechtlicher Rat eingeholt werden. Hat eine Kommune im Rahmen ihrer Organisationshoheit eine öffentliche Einrichtung allerdings einem privatrechtlichen Nutzungsregime unterstellt und bedient sie sich zur Durchsetzung ihres privaten Hausrechts eines privaten Sicherheitsdienstes – etwa zur Verweisung von Personen von einer Sportanlage oder aus einem Freibad, weil diese Personen sich nicht an die Coronaregeln halten – dürfte es sich nicht um die Ausübung von Hoheitsbefugnissen handeln und dürften die vorstehenden Beschränkungen nicht gelten.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Magazin KOMMUNAL 10/2020.
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Janosch Neumann
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