BVerwG zur Besitzeinweisung für Bau und Betrieb der Anbindungsleitung des LNG-Terminals in Brunsbüttel

Der Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine hat die geo- und energiepolitischen Randbedingungen für Deutschland und Europa grundlegend und dauerhaft verändert. Die Bundesregierung hat daher die energiepolitische Entscheidung getroffen, das Land schnellstmöglich unabhängig von russischen Gasimporten zu machen und die Bezugsquellen schleunigst zu diversifizieren, um die Versorgungssicherheit weiterhin zu gewährleisten. Dazu bedarf es der Schaffung einer neuen Importinfrastruktur für Gas. Ein wesentlicher Baustein hierfür ist der Bezug von LNG.

LNG-Terminals, zunächst in der schwimmenden Ausführung als Floating Storage and Regasification Units (FSRU), müssen unter hohem Zeitdruck genehmigt, errichtet und in Betrieb genommen werden. Hinzu kommen in der Regel Anbindungsleitungen, die die Einspeisung des anlandenden LNG in das Fernleitungsnetz überhaupt erst ermöglichen. Auch diese Infrastruktur muss daher schnellstmöglich genehmigt, errichtet und in Betrieb genommen werden. Einen wesentlichen Beitrag zu einer diesbezüglichen Verfahrensbeschleunigung leistet das Gesetz zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases (sog. LNG-Beschleunigungsgesetz – LNGG). Hier sind u.a. erhebliche Verfahrenserleichterungen für die Umsetzung der notwendigen LNG-Infrastruktur geregelt. Dazu gehört auch, dass der Vorhabenträger die Durchführung des Verfahrens zur vorzeitigen Besitzeinweisung gemäß § 44b EnWG für LNG-Anbindungsleitungen bereits nach Ablauf der Einwendungsfrist verlangen kann.

Mit Beschluss vom 10.02.2023 (7 VR 1/23) hat sich nun das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) erstmals mit der vorzeitigen Besitzeinweisung für eine LNG-Anbindungsleitung befasst. Der vorliegende Beitrag stellt die Entscheidung und deren Bedeutung kurz vor.

Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Konkret ging es in der Entscheidung des BVerwG um den Bau und Betrieb der Anbindungsleitung für das LNG-Terminal in Brunsbüttel. Ein Eigentümer und ein Pächter betroffener landwirtschaftlicher Flächen wendeten sich mit ihrem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen einen Besitzeinweisungsbeschluss für das Leitungsbauvorhaben. Dieser war als sog. vor-vorzeitige Besitzeinweisung auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Nr. 3 LNGG in Verbindung mit § 44b EnWG ergangen.

Zur Begründung ihres Antrags rügten die Antragsteller die Zerschneidung ihrer Grundstücke und der darauf befindlichen Drainagen durch die Leitung. Zudem sei eine andere Trassierung nicht geprüft worden. Im Falle eines Störfalls müssten sie damit rechnen, als Zustandsstörer in Anspruch genommen zu werden. Die geplante Leitung verhindere die Errichtung einer Photovoltaikanlage. Wegen der kurzen Fristen zur Klagebegründung seien sie in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Der sofortige Baubeginn sei nicht geboten. Die vorgebrachte Eile sei übertrieben, da die Lage am Gasmarkt stabil sei. Zudem hätten sie sich einer Überlassung der betroffenen Grundstücke nicht grundsätzlich verweigert, sondern lediglich Nachfragen bezüglich einer Trassenverlegung gehabt. Die durchgeführte Online-Konsultation sei nicht zulässig gewesen.

Dieser Argumentation ist das BVerwG nicht gefolgt und hat den Antrag abgelehnt.

Zunächst einmal befasst sich das BVerwG mit der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs in Abgrenzung zur Zuständigkeit der Kammern für Baulandsachen. Die Eröffnung folge aus § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insbesondere verweise § 44b Abs. 7 Satz 2 EnWG ausdrücklich auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO und damit auf Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte. Eine anderslautende Auffassung des OLG Celle in einem Urteil aus 1999 hinsichtlich der fernstraßenrechtlichen vorzeitigen Besitzeinweisung nach § 18f Abs. 6a FStrG sei wegen einer Besonderheit des niedersächsischen Straßenrechts nicht auf die energiewirtschaftsrechtliche Besitzeinweisung übertragbar.

Das BVerwG sei auch erstinstanzlich zuständig. Dies ergebe sich aus § 12 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 LNGG. Demnach sei das BVerwG erstinstanzlich zuständig für sämtliche Streitigkeiten über Vorhaben nach § 2 LNGG. Zu den „sämtlichen Streitigkeiten“ zählten nicht nur die eigentlichen Planfeststellungsentscheidungen, sondern auch begleitende Entscheidungen wie die vorzeitige Besitzeinweisung. Dies folge aus dem Begriff der „Zulassung des vorzeitigen Baubeginns“ in § 12 Satz 2 Nr. 1 LNGG, der weit auszulegen sei, was sich aus der gesamten Zielsetzung der LNGG – namentlich der zügigen Einbindung verflüssigten Erdgases in das bestehende Leitungsnetz – ergebe.

Die Monatsfrist des § 44b Abs. 7 Satz 2 EnWG zur Stellung und Begründung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung verletze die Antragsteller nicht in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Eine Verletzung könne nur dann angenommen werden, wenn effektiver Rechtsschutz in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werde. Tatsächlich sei es den Antragstellern aber gelungen, die Frist einzuhalten. Zudem seien kurze Begründungsfristen im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und im Verfahren der vorzeitigen Besitzeinweisung wegen des immanenten beschleunigenden Elements gerechtfertigt.

Nach der gebotenen summarischen Prüfung erweise sich der angefochtene Besitzeinweisungsbeschluss als rechtmäßig. Die von § 44b Abs. 2 EnWG vorgeschriebene mündliche Verhandlung über den Besitzeinweisungsantrag habe gemäß § 5 Abs. 2 PlanSiG durch eine Online-Konsultation ersetzt werden dürfen. Der sofortige Baubeginn sei gemäß § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG geboten. Der Vorhabenträger habe schlüssig dargelegt, dass die Bauarbeiten nach der vorgesehenen Terminkette unmittelbar bevorstünden. Außerdem bestehe wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der daraus resultierenden Einstellung russischer Gaslieferungen ein erhebliches öffentliches Interesse. Dass die Bundesnetzagentur von vollen Gasspeichern und einer stabilen Lage ausgehe, ändere hieran nichts. Da sich die Besitzeinweisung auf ein künftig erst noch umzusetzendes Vorhaben richte, komme es nicht auf einen etwaigen gegenwärtigen Versorgungsmangel an. An die Weigerung zur freiwilligen Besitzüberlassung im Sinne von § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG und an die vorausgehenden Verhandlungen seien keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es genüge, wenn der Vorhabenträger den Betroffenen durch ein entsprechendes Angebot die Möglichkeit eröffnet, den Besitz unter Vorbehalt sämtlicher Entschädigungsansprüche zu überlassen, und diese das Angebot nicht annehmen. Wegen § 8 Abs. 1 Nr. 3 LNGG habe es vor der Besitzeinweisung nicht des Vorliegens eines vollziehbaren Planfeststellungsbeschlusses bedurft (§ 44b Abs. 1 Satz 2 EnWG). Auch der Abschluss des Anhörungsverfahrens habe nicht abgewartet werden müssen (§ 44b Abs. 1a EnWG). Vielmehr könne der Vorhabenträger gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 LNGG bereits nach Ablauf der Einwendungsfrist die Durchführung des Besitzeinweisungsverfahrens verlangen. Nicht zuletzt führt das BVerwG aus, dass in den Fällen der vorzeitigen Besitzeinweisung nicht von einer Störerhaftung der betroffenen Grundstückseigentümer oder -besitzer auszugehen sei. Die weiteren Einwände der Antragsteller richteten sich gegen die Planfeststellung als solche und seien daher wegen § 44b Abs. 1 Satz 3 EnWG für die Besitzeinweisung ohne Belang.

Einordnung in den rechtlichen Kontext

In Bezug auf die gesetzlichen Voraussetzungen einer vorzeitigen Besitzeinweisung nach § 44b EnWG bringt die Entscheidung des BVerwG keine grundlegend neuen Erkenntnisse. Das BVerwG weicht nicht von der bereits existierenden obergerichtlichen Rechtsprechung zur vorzeitigen Besitzeinweisung nach den jeweiligen Fachplanungsgesetzen ab.

Zum Thema Weigerung zur freiwilligen Besitzüberlassung hat jüngst auch das OVG NRW klargestellt, dass keine gesteigerten Anforderungen an die Verhandlungen anzulegen sind. In kaum zu übertreffender Deutlichkeit führt das OVG aus: „Dem Protokoll der mündlichen Verhandlung im Besitzeinweisungsverfahren (…) ist zu entnehmen, dass eine Einigung über die Modalitäten einer Baufreigabe nicht erzielt werden konnte (…). Dass in dem unmissverständlichen Verhalten des Antragstellers – nach seiner Ansicht – gleichwohl keine Weigerung zu sehen sein soll, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Wer nicht zustimmt, der weigert sich. Etwas Drittes gibt es nicht. Welche Motive der Antragsteller für seine Weigerung hatte – etwa die aus seiner Sicht unzureichende Gesamtentschädigungssumme, über die eine Verhandlung nicht möglich gewesen sei, oder die für ihn nicht sichergestellte Wiederherstellung seiner Grundstücksflächen nach Beendigung der Bauarbeiten – ist dabei ohne Bedeutung.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Hinsichtlich der Gebotenheit des sofortigen Baubeginns verweist das BVerwG darauf, dass der Vorhabenträger die Dringlichkeit der Vorhabenrealisierung und das unmittelbare Bevorstehen der Bauarbeiten schlüssig dargelegt habe. Auch dies entspricht der bereits vorliegenden obergerichtlichen Rechtsprechung. Ergänzend ist – dies klingt in der Entscheidung des BVerwG nur am Rande an – darauf hinzuweisen, dass mit der Anforderung „Gebotensein des sofortigen Beginns“ nicht ausschließlich ein zeitliches Moment gemeint ist. Vielmehr liegt die Dringlichkeit vor, wenn das Interesse des Vorhabenträgers, mit den Bauarbeiten zu beginnen, und das dahinterstehende Interesse der Allgemeinheit an der zügigen Realisierung des Vorhabens das Stillhalteinteresse des von der Grundstücksinanspruchnahme Betroffenen überwiegt. Gerade dies wird bei Vorhaben, die unter § 2 LNGG fallen, regelmäßig der Fall sein. Denn § 3 LNGG legt kraft gesetzgeberischer Wertung rechtsverbindlich fest, dass diese Vorhaben besonders dringlich sind und deren schnellstmögliche Durchführung dem zentralen Interesse an einer sicheren und diversifizierten Gasversorgung in Deutschland dient und aus Gründen eines überragenden öffentlichen Interesses und im Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist. Hinsichtlich dieser Wertung hat das BVerwG dem Gesetzgeber einen Prognosespielraum zugestanden, ohne dass es auf die jeweils aktuelle Lage am Gasmarkt ankäme.

Auch die Auslegung von § 44b Abs. 1 Satz 3 EnWG, wonach es – jenseits der ausdrücklich gesetzlich bestimmten Anforderungen – keiner weiteren Voraussetzungen für die Besitzeinweisung bedarf, deckt sich mit der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung.

Darüber hinaus entspricht auch die vom BVerwG angenommene Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs der bisherigen, insbesondere auch der jüngeren Rechtsprechung der Obergerichte. Auch das BVerwG hatte dies bereits einmal in einem Beschluss aus 2014 selbst angedeutet. Da – im Übrigen – § 44b Abs. 7 EnWG den gleichen Wortlaut hat wie § 18f Abs. 6a FStrG darf bezweifelt werden, ob die vom BVerwG nicht weiter berücksichtigte Rechtsauffassung des OLG Celle noch aufrechterhalten werden kann.

Praxisbedeutung

Zunächst einmal ist zu begrüßen, dass das BVerwG keines der Beschleunigungselemente in Bezug auf die vor-vorzeitige Besitzeinweisung für die Schaffung einer LNG-Infrastruktur in Frage gestellt hat (Vorverlagerung nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 LNGG, gesetzgeberisch festgestellte Dringlichkeit gemäß § 3 LNGG, erstinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG gemäß § 12 LNGG, Ersetzung der mündlichen Verhandlung durch eine Online-Konsultation nach § 5 Abs. 2 PlanSiG). Darüber hinaus wäre es zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber die Regelungen des LNGG – im Rahmen der europarechtlichen Vorgaben – auch als „Blaupause“ für die Planungsbeschleunigung in anderen Bereichen nutzt. Was die Online-Konsultation angeht, haben dies die Planfeststellungs- und Enteignungsbehörden bereits heute selbst in der Hand; § 5 Abs. 2 PlanSiG schafft – vom BVerwG bestätigt – die gesetzliche Möglichkeit.

Auch wenn die Anwendung des LNGG womöglich endlich ist, weil sämtliche Vorhaben gemäß der Anlage zu § 2 LNGG wahrscheinlich in näherer Zukunft umgesetzt sein werden, dürfte die vorliegende Entscheidung des BVerwG gleichwohl für vorzeitige Besitzeinweisungen nach den jeweiligen Fachplanungsgesetzen bedeutsam bleiben. Dies wird trotz der Tatsache zu gelten haben, dass sich die Feststellungen des BVerwG mit denjenigen der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung decken. Da sich Rechtsbehelfe gegen vorzeitige Besitzeinweisungen wegen der Dringlichkeit der Vorhabenumsetzung normalerweise im einstweiligen Rechtsschutz abspielen und danach erledigen, erhält das BVerwG regelmäßig nicht die Gelegenheit sich hierzu zu äußern. So sind in den einschlägigen Datenbanken denn auch so gut wie keine aktuellen höchstrichterlichen Entscheidungen zur vorzeitigen Besitzeinweisung aufzufinden. Die vorliegende Entscheidung ermöglicht es nun also, zu den immer wiederkehrenden Rügen von Betroffenen im Rahmen eines Besitzeinweisungsverfahrens (fehlende Dringlichkeit, keine Weigerung zur freiwilligen Besitzüberlassung, Einwendungen gegen den Planfeststellungsbeschluss als solchen) auch auf höchstrichterliche Feststellungen des BVerwG zu verweisen.

Allein in Bezug auf die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs wäre eine tiefergehende Auseinandersetzung des BVerwG mit der genannten Entscheidung des OLG Celle (und vorgehend gleichlautend auch des LG Hannover) wünschenswert gewesen. Denn dem Verfasser ist bekannt, dass einige Enteignungsbehörden weiterhin hierauf Bezug nehmen.

Dieser Beitrag ist auch Gegenstand des juris PraxisReports Umwelt- und Planungsrecht
5/2023.

Ansprechpartner

Janosch Neumann

Öffentliches Recht und Vergabe, Bauen und Immobilien

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