Reichweite der Auskunftspflichten von Arbeitgebern gemäß Art. 15 DS-GVO – Derzeit keine Kurskorrektur durch das Bundesarbeitsgericht möglich
Das Bundesarbeitsgericht hatte eine mündliche Verhandlung über die Revision des verklagten Arbeitgebers auf den 02.09.2020 anberaumt (Az. 5 AZR 66/19), die gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden–Württemberg vom 20.12.2018 gerichtet war (Az. 17 Sa 11/18). Der Termin wurde aufgehoben, weil sich die Parteien nach jahrelangem Rechtsstreit kurz zuvor doch noch geeinigt haben. Damit ist die ursprünglich angegriffene Entscheidung nunmehr rechtskräftig. Die dortigen bemerkenswerten Feststellungen werden deshalb bis auf Weiteres ein wesentlicher Maßstab für Arbeitgeber bei der Bewertung einschlägiger Sachverhalte bleiben.
Worum geht es?
Der klagende Arbeitnehmer machte unter anderem einen Anspruch auf Auskunft gegen seinen Arbeitgeber geltend. Demgemäß forderte er unter Berufung auf Art. 15 Abs. 1 der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) weitreichende Informationen. Danach besteht zunächst einmal für jede Person das Recht, eine Bestätigung von dem für eine Datenverarbeitung Verantwortlichen zu verlangen, ob über sie personenbezogene Daten verarbeitet werden. Dies ist in jedem Arbeitsverhältnis geradezu zwangsläufig der Fall. Eben deshalb kommt dem weitergehenden Recht nach Maßgabe von Art. 15 Abs. 1 DS-GVO besondere Bedeutung zu, wonach auch ein Anspruch auf Auskunft über eben diese Daten besteht.
In dem zuletzt vor dem Bundesarbeitsgericht anhängigen Rechtsstreit war der Arbeitgeber verklagt, Auskunft über die von ihm verarbeiteten und nicht in der Personalakte des Klägers gespeicherten personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten zu erteilen im Hinblick auf
- die Zwecke der Datenverarbeitung,
- die Empfänger, gegenüber denen der Arbeitgeber die personenbezogenen Daten des Klägers offengelegt hat oder noch offenlegen wird,
- die Speicherdauer oder falls dies nicht möglich ist, Kriterien für die Festlegung der Dauer,
- die Herkunft der personenbezogenen Daten des Klägers, soweit der Arbeitgeber diese nicht bei dem Kläger selbst erhoben hat und
- das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling sowie aussagekräftiger Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung.
Darüber hinaus wurde vom Kläger gefordert, ihm eine Kopie seiner personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten, die Gegenstand der von seinem Arbeitgeber vorgenommenen Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat dem vollumfänglich in seinem Urteil zugunsten des Klägers entsprochen. Die Entscheidung ist erkennbar inhaltlich weitreichend und bedeutsam.
Der Tenor der Entscheidung dürfte in dem Sinne zu verstehen sein, dass der Kläger Auskunft über jeden einzelnen Empfänger von personenbezogenen Daten verlangen kann und nicht allein über einzelne Kategorien von Empfängern. Damit wird folglich ein Maßstab angelegt, der sich in der Praxis nur mit einem sehr großen Aufwand realisieren lässt. Unklar bleibt zudem etwa, was genau mit den geschuldeten Kopien gemeint ist, da nicht erkennbar wird, ob aus allen denkbaren (IT-)Systemen eines Unternehmens Kopien zu erstellen sind. Weiterhin bleibt offen, ob auch jegliche E-Mail-Korrespondenz, die im Zusammenhang mit der Leistung und dem Verhalten des Klägers steht, zu überlassen ist.
Zum Teil finden sich in der Instanzrechtsprechung außerhalb der Arbeitsgerichtsbarkeit restriktivere Ansätze, was die Interpretation der normativen Reichweite von Art. 15 DS-GVO anbetrifft (vgl. etwa LG Köln, Urt. v. 18.03.2019 – Az. 26 O 25/18; AG München, Urt. v. 04.09.2019 – Az. 155 C 1510/18; LG Heidelberg, Urt. v. 06.02.2020 – Az. 4 O 6/19).
Da es sich hierbei jedoch um Entscheidungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit handelt, betreffen diese zwangsläufig keine Arbeitsverhältnisse. Damit bleibt bis auf Weiteres offen, wie sich das Bundesarbeitsgericht zu den hier in Rede stehenden Fragen und Problemen äußern wird. Zulasten der Rechtssicherheit wurde diese Möglichkeit aktuell durch die Einigung der Parteien in dem anhängigen Revisionsverfahren leider genommen.
Für Arbeitgeber hat dies nicht allein zur Konsequenz, dass Arbeitnehmer bei einem Auskunftsverlangen den großzügigen Maßstab des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg zugrunde legen werden. Dieser weitreichende Maßstab ist auch dazu geeignet, das Auskunftsbegehren als taktischen Ansatz zu nutzen, um beispielsweise die Konditionen anlässlich der vergleichsweisen Beendigung eines anderweitig belasteten Arbeitsverhältnisses zu optimieren.
Vor dem Gesamthintergrund lässt ein derzeit vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf anhängiges Berufungsverfahren zugunsten der Rechtssicherheit hoffen (vgl. Az. 14 Sa 294/20). Dieses ist gegen eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 05.03.2020 (vgl. Az. 9 Ca 6557/18) gerichtet, die im Hinblick auf Art. 15 DS-GVO einen restriktiveren Ansatz als das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zugrunde legt. Allerdings ist der Rechtsstreit vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf aktuell noch nicht einmal terminiert. Bis dann in einem – leider nur etwaigen – Revisionsverfahren eine die Rechtslage klärende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vorliegt, wird weitere und erhebliche Zeit vergehen. Letzteres gilt nicht zuletzt deshalb, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Bundesarbeitsgericht entscheidungserhebliche Fragen hinsichtlich der Auslegung von Art. 15 DS-GVO zunächst dem Europäischen Gerichtshof zur Klärung vorlegt.
Was heißt das für die Praxis?
Eine wirklich befriedigende Antwort gibt es derzeit leider nicht. Aus Arbeitgebersicht scheinen pragmatische Ansätze zweckmäßig, indem die Zielkonflikte im Einzelfall und die damit korrespondierenden Risiken zugunsten einer bestimmten Vorgehensweise angemessene Berücksichtigung finden. In diesem Zusammenhang sollte insbesondere Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DS-GVO in den Blick genommen werden, der ein Verweigerungsrecht bei offenkundig unbegründeten oder exzessiven Anträgen einer grundsätzlich auskunftsberechtigten Person zum Gegenstand hat.
Ansprechpartner
Dr. Uwe Julius Faustmann
Arbeits- und Dienstvertragsrecht, Insolvenzen und Sanierungen, Wirtschaft und Finanzen